Abenteuer erleben ohne Abenteuerskripte nachzuspielen

Spiele, um herauszufinden, was passiert, so lautet eine zentrale Agenda von Rollenspielen mit der pbtA-Engine. Das klingt erst einmal selbstverständlich, wissen die Spielerinnen und Spieler doch am Anfang einer Rollenspielsitzung nicht, was in deren Verlauf passieren wird. Doch ist diese Aussage nur die halbe Wahrheit: Auch wenn die Spielerinnen und Spieler nicht wissen mögen, was passieren wird, so stehen die Ereignisse dem Grundsatz nach doch schon fest, nämlich niedergeschrieben in dem Abenteuer, das die Spielgruppe spielt. Entsprechend weiß auch die Spielleitung, was passieren wird. Hier bricht die pbtA-Engine nun radikal mit allen Gewohnheiten der klassischen Systeme. Genannte Agenda adressiert nämlich nicht die Spielerinnen und Spieler, sondern die Spielleitung. Eben so wenig wie die Spielerinnen und Spieler soll die Spielleitung am Beginn der Geschichte schon wissen, was passieren wird, wer auftreten wird, wie Herausforderungen gelöst werden können etc. Wo klassische Systeme kaum denkbar sind ohne Abenteuer als geskriptetes Gerüst für den Spieleabend, da verzichten pbtA-Rollenspiele ganz bewusst auf vorformulierte Handlungsbögen für das, was die Spielerinnen und Spieler erleben werden. Das Abenteuer soll am Spieltisch entstehen und aus den Handlungen der Spielerinnen und Spieler erwachsen, es soll kein Nachspielen von mehr oder weniger feststehenden Geschichten sein.

Erreicht werden soll damit das Spiel eines Abenteuers, wie es die Spielerinnen und Spieler mit ihren Charakteren erleben wollen, nicht wie es eine Autorin oder ein Autor als universell glücklichmachend eingeschätzt hat (ohne Spielerinnen und Spieler und ihre Charaktere zu kennen). Ein Rollenspiel ohne das tragende Gerüst eines Abenteuers – das klingt erst einmal kaum machbar, scheint damit doch ein Herzstück der gesamten Spielmechanik zu fehlen. Aber wie schon an anderer Stelle formuliert: pbta-Rollenspiele verzichten auf manche andernorts übliche Selbstverständlichkeiten und verregeln dafür Spielmechaniken, für die klassische Systeme über gar kein Regelkonstrukt verfügen. So liefert die pbtA-Engine etwa verschiedene Funktionalitäten, die aus den Interessen und Wünschen der Spielerinnen und Spieler heraus unmittelbar Abenteuer generieren können. Wie das genau aussieht, möchte ich mit diesem Artikel beschreiben.

Die klassische Funktion von Abenteuerskripten

Üblicherweise benötigen Rollenspiele Abenteuer, die überhaupt erst die Grundlage des Spiels bilden. Ich möchte hierfür den Begriff Abenteuerskripte nutzen, um sie vom tatsächlich am Spieltisch erlebten Abenteuer, der Abenteuergeschichte, unterschieden zu können. Solche Abenteuerskripte können gekaufte Bücher oder selbst geschriebene Werke sein, sie können als kurze Szenarien oder als epische Kampagnen auftreten, sie können aus stichpunktartigen Notizen oder aus enzyklopädischen Beschreibungen bestehen. Ihr Inhalt und ihr Umfang können vielfältig variieren, aber das Abenteuerskript, üblicherweise von der Spielleitung ausgesucht, bestimmt zumindest im Groben, wie die bevorstehende Geschichte aussieht, die am Spieltisch entstehen wird. Es definiert ein Problem oder eine Herausforderung, es beschreibt Orte und Personen, es skizziert einen Handlungsablauf (inkl. Möglichkeiten, abweichende Spielerinnen und Spieler wieder dorthin zurückzuführen), es setzt Spannungsbögen (einen unerwarteten Rückschlag, eine überraschende Enthüllung, eine problematische Erkenntnis, einen dramatischen Endkampf etc.) etc. Kurz: Ein Abenteuerskript schreibt eine Geschichte, die die SC dann nachspielen. Als Konsens kann es wohl gelten, dass diese dabei Freiräume zur eigenen Prägung der Geschichte haben sollten; fehlen ihnen solche, gilt das Abenteuer als sogenanntes Railroading, was üblicherweise kein Kompliment ist. Aber ganz gleich, ob die Freiräume weit oder eng sind, mit einem Abenteuer ist das Spielerlebnis plot-driven, d.h. der vorgezeichnete Handlungsablauf bestimmt das Spielerlebnis: Eine Autorin oder ein Autor hat sich einen Plot ausgedacht, die Spielleiterin oder der Spielleiter führt die Gruppe durch den Plot, die Spielerinnen und Spieler lassen ihre Charaktere den Plot nacherleben. Im besten Fall erleben die Spielerinnen und Spieler eine spannende Abenteuergeschichte, die von den Ideen und Vorüberlegungen des Abenteuerskripts lebt und die Charaktere die geplanten Ereignisse miterleben und mitgestalten lässt. Im schlechteren Fall kollidieren die Setzungen des Abenteuerskripts mit den Ideen und Vorstellungen der Spielerinnen und Spieler und erzeugen ein unbefriedigendes Spielerlebnis.

Abenteuergeschichten mit der pbtA-Engine

Rollenspiele mit der pbtA-Engine gehen einen anderen Weg. Abenteuerskripte im klassischen Sinne kennen sie nicht. Entsprechend bieten sie üblicherweise auch keinen Einstiegspunkt an, von dem aus eine Handlung abläuft (Auftraggeber in der Taverne, Hineinstolpern in eine Herausforderung etc.). Der Auslöser für die Abenteuergeschichte ist keine vorformulierte Szene, die von der Spielleitung gesteuert wird, sondern das Interesse der Spielerinnen und Spieler, ihre Charaktere zu spielen. Dieses Interesse dient als handlungsleitendes Element in allen Spielsitzungen und wird über eine Reihe von Spielmechaniken am Spieltisch operationabel gemacht. Diese Spielmechaniken stützen sich auf Elemente auf dem Charakterbogen der Spielerinnen und Spieler (Klasse, Spielzüge, Gesinnung, Bande, Eigenschaften) als auch Werkzeuge aus dem Arsenal der Spielleitung (Einsätze, Spielzüge). (Die grundsätzliche Funktionalität der ersten Sitzung zur Abstimmung der gegenseitigen Interessen lasse ich hier erst einmal außen vor.) Im Ergebnis wird mit diesen Spielmechaniken die fremdbestimmte Abenteuerhandlung klassischer Systeme durch eine selbstbestimmte Abenteuerhandlung im pbtA-Rollenspiel ersetzt. Wenn ich nachfolgend diese einzelnen Elemente betrachte, dann wird wie immer meinen persönlichen Interessen nach Dungeon World im Mittelpunkt stehen, aber dem Prinzip nach dürften die Aussagen für die meisten Spiele der pbtA-Engine gelten.

Die Klasse

Beginnen wir im sehr Grundsätzlichen: Dungeon World ist ein klassenbasiertes System. Spielerinnen und Spieler wählen ihre Klasse als ersten Schritt der Charaktererschaffung. Damit treffen sie eine erste gewichtige Aussage über ihre Interessen in der anstehenden Erzählung: eine Kämpferin will den handfesten Konflikt und das Aufeinanderklirren von Klingen erleben, ein Kleriker die spirituelle Macht und das Wirken der Unsterblichen, eine Magierin die uralten Geheimnisse und das Entfesseln arkaner Kräfte etc. Das klingt erst einmal noch nicht allzu fern von klassischen Systemen, tatsächlich aber wirken sich diese Grundinteressen hier wie dort sehr unterschiedlich auf die Spielmechanik aus: In einem vorgegebenen Abenteuerskript müsste nun die Handlung diese Interessen auffangen, sie müsste also Kämpfe, Mystisches und alles andere mehr bieten, was die involvierten Charakterklassen verlangen. Das ist nicht ganz trivial und regelmäßig scheitern Abenteuerskripte an diesen Anforderungen, was auch nicht erstaunen kann, schließlich sind sie auf die Handlung hin geschrieben und nicht auf die beteiligten Charaktere (sie sind eben plot-driven und nicht player-driven). Schärfer formuliert: Ihnen sind die Charaktere, die das Abenteuer bestehen, ziemlich egal. Ohne Abenteuerskript und vorgegebene Handlung stellt sich dieses Problem bei Dungeon World nicht. Dadurch, dass den Spielerinnen und Spielern umfangreiche Erzählrechte zukommen, ist garantiert, dass ihre Interessen im Spiel zum Tragen kommen. Handeln sie, bringen sie ihre Klasse unmittelbar in die Erzählung ein, Kämpfer tun Kämpfer-Dinge, Magier tun Magier-Dinge etc. Sie müssen ihre Interessen nicht in Konkurrenz oder gar im Gegensatz zum Abenteuerskript zur Geltung bringen. Ihr Handeln ist das Abenteuer. Ein Dungeon World-Abenteuer mit einem Druiden und einer Waldläuferin wird völlig anders ablaufen als mit einem Paladin und einer Klerikerin. Die Wahl der Klasse gibt dem Abenteuer also schon einmal eine grundsätzliche Richtung, die sich mit den Interessen der Spielerinnen und Spieler deckt.

Zudem sind mit den Klassen bestimmte exklusive Spielzüge verbunden: Ein Barbar folgt seinen „titanischen Begierden“, eine Diebin ist eine „Fallenexpertin“, ein Kleriker erhält „göttliche Führung“, eine Magierin kann ein „Ritual“ wirken, ein Paladin verfolgt eine „Queste“, eine Waldläuferin kann „Spuren lesen“. Diese Spielzüge sind ebenfalls wichtige Elemente, um die Abenteuergeschichte auch ohne ein Abenteuerskript voranzubringen. Denn natürlich sind Spielerinnen und Spieler bestrebt, ihre Spielzüge auszulösen, schließlich ist in ihnen die Quintessenz der jeweiligen Klasse verankert; die Spielzüge sind letztendlich das, warum die Spielerin oder der Spieler den jeweiligen Charakter ausgewählt hat. Die Charaktere bleiben also nicht passiv und warten, was ein vorgefertigtes Abenteuerskript ihnen denn nun vorlegen wird, sondern sie schaffen sich mittels ihrer Erzählrechte die Situationen, in denen sie glänzen können: Der Barbar lebt seine Begierden nach Eroberung und Ruhm aus, die Magierin wirkt ein gefährliches Ritual, um sich uralte Kräfte dienstbar zu machen, der Paladin leistet einen Schwur, um mächtige Gaben für den Kampf gegen das Böse zu erhalten. Zudem lösen die Spielzüge üblicherweise weitere Effekte aus, die die Geschichte fortschreiben: die Begierden des Barbaren verursachen Schwierigkeiten, das Ritual der Magierin verlangt nach seltenen Paraphernalia, der Schwur des Paladin verkompliziert das Vorankommen der Heldengruppe. Schon sind also die nächsten Szenen gesetzt, die den Charakteren bevorstehen werden. Damit ist ein erstes Fundament gelegt, auf dem die weitere Abenteuerhandlung aufbaut.

Die Gesinnung

Charaktere in Dungeon World haben auch eine Gesinnung: rechtschaffen, gut, neutral, chaotisch, böse. Spielerinnen und Spieler wählen diese Gesinnung bei der Charaktererschaffung. Die gewählte Gesinnung bleibt aber nicht abstrakt, sondern wird klassenspezifisch mit einer Aktion konkretisiert: Ein guter Kämpfer etwa erhält die Aufgabe „Verteidige die Schwachen“, eine neutrale Magierin „Entdecke ein magisches Mysterium“, ein chaotischer Druide „Zerstöre ein Symbol der Zivilisation“ etc. Damit haben alle Charaktere einen grundsätzlichen Antrieb, der sie zum Handeln motiviert. Sie benötigen kein Abenteuerskript bzw. keinen Abenteueraufhänger, der sie in das Spiel bringt. Sie folgen einfach ihrer Gesinnung und starten damit in ihre eigene Abenteuergeschichte. Der genannte gute Kämpfer etwa könnte in einen Landstrich gezogen sein, wo die Bewohner schutzlos den Angriffen von orkischen Streifscharen ausgesetzt sind. Oder er kehrt in seine Heimat zurück, wo seltsame Schiffe regelmäßig Bewohner von der Küste verschleppen. Oder er stellt in einer Stadt fest, dass die Gardetruppen des mächtigen Senats rücksichtslos gegen die hungernde Bevölkerung vorgehen. Problemlos wird der Kämpfer in sein eigenes Abenteuer einsteigen können. Und wenn er dort dann dem Druiden begegnet, der die bäumefressenden Kriegswerften des Senats brennen sehen will, und der Magierin, die gehört hat, dass die Kriegsflotte über unnatürliche Kräfte zur Beherrschung der Winde verfügen soll, dann hat die ganze Gruppe ihr eigenes Abenteuer gefunden. Die Gesinnung bringt also eine Grundmotivation der Charaktere ins Spiel, mit der eine Handlung angestoßen wird, ganz ohne dass es hierfür eines Abenteuerskripts bzw. eines Abenteueraufhängers bedürfte. (Und als Bonus gibt es nach jeder Spielsitzung noch einen Erfahrungspunkt für jeden Charakter, der seine Gesinnung aktiv in das Spiel eingebracht hat.)

Die Bande

Rollenspiele werden üblicherweise in einer Gruppe gespielt, mehrere Charaktere formen die Abenteurergruppe, die im Mittelpunkt der Handlung stehen. Entsprechend bieten die Verbindungen zwischen den Charakteren den nächsten Antrieb für die Abenteuergeschichte. In Dungeon World heißen diese Antriebe Bande. Bande verknüpfen Charaktere miteinander und bieten weitere Ansatzpunkte, wie die Abenteuergeschichte forterzählt werden kann. Jede Klasse hat ein erstes Set an Banden im Angebot, letztlich sind sie aber vollkommen frei generierbar. „Ich habe geschworen, Charakter A zu beschützen“, „Ich kann Charakter B nicht trauen – noch nicht“ oder „Charakter C hat belastende Informationen über mich“ sind beispielhafte Bande. Bande – oder zumindest gute Bande – schaffen Beziehungen zwischen Charakteren, die weitere Handlungen anstoßen können und sollen. Wenn Charakter A, angetrieben durch seine Gesinnung, einen Plan gegen den Knochengeneral zu schmieden beginnt und Charakter B ihm, motiviert durch seine Bande, zur Seite steht, dann entsteht ebenso eine Dynamik am Spieltisch wie wenn Charakter C die Gruppe zum Besuch der Mitternachtsfürstin bewegen will, Charakter D seinen Beweggründen aber nicht traut. Wiederum warten Spielerinnen und Spieler nicht das Angebot eines Abenteuerskripts zum Handeln ab, sondern werden selbst aktiv und folgen den Ideen, die sie für sich bei der Charakterschaffung bzw. -entwicklung als attraktiv und spannend notiert haben, hier eben in Form des Verhältnisses zu anderen Charakteren. Charaktere sind also nicht motivationslose Spielfiguren, die zufällig genau das machen wollen, was ein Abenteuerskript von ihnen verlangt, sondern sie sind Protagonisten einer Geschichte, die durch unterschiedliche Interessen miteinander verknüpft sind und dadurch in Abenteuer verwickelt werden. (Und wiederum belohnt das Regelwerk das Ausspielen einer Bande mit einem Erfahrungspunkt am Ende einer Spielsitzung – inklusive der Aufforderung zur Anpassung der Bande an neue Gegebenheiten.)

Die Eigenschaften

Und selbst die Ausrüstung trägt in pbtA-Rollenspielen einen Teil zur Abenteuergeschichte bei. Der regeltechnische Begriff lautet hier: Eigenschaften. Interessante Gegenstände verfügen über Eigenschaften, wenngleich sich diese Eigenschaften nicht in einem schlichten Bonus erschöpfen, wie es bei klassischen Systemen üblicherweise der Fall ist; stattdessen bieten die Eigenschaften erzählerisches Potential. Eine Waffe verleiht keinen Bonus +1 auf einen Angriffswurf, sondern ist vielleicht „wuchtig“. Eine Rüstung gibt keinen Malus -1 auf einen Bewegungswurf, sondern ist vielleicht „stachelbewehrt“. Ein seltsames Amulett könnte „magisch“ sein, ein verbotenes Buch „gefährlich“, ein abgeschlagenes Medusenhaupt „furchterregend“. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt: ein „leuchtender“ Ring, ein „singendes“ Schwert, ein „fliegender“ Teppich, eine „sprechende“ Statuette u.v.a.m. sind problemlos denkbar. Der Sinn dieser Eigenschaften liegt auf der Hand: Gegenstände sollen nicht primär einen Würfelwurf modifizieren (wenngleich sie das auch könnten), sondern sie sollen wiederum Anknüpfungspunkte für die Erzählung bieten. Wenn der Barbar mit dem „brutalen“ Ahnenschwert seines Stammes und der „verfluchten“ Krone aus dem geplünderten Grabmal auf die Zöllner des Königs trifft, dann wird etwas anderes passieren als wenn das der Diebin mit „offenherziger“ Reisekleidung und „vergifteten“ Dolchen geschieht. Die Gegenstände tragen Potential für die weitere Erzählung in sich. Mithin unterstützen Eigenschaften die Entstehung und Entwicklung der Abenteuergeschichte.

Abenteuerfronten: Einsätze

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Spielleitung noch nicht in die Abenteuergeschichte involviert, denn mit den genannten Elementen verfügen die Spielerinnen und Spieler von sich aus bereits über ein ausreichendes Arsenal, um eigenständig eine erzählerische Dynamik auszulösen und ihre Charaktere ins Abenteuer zu führen. Die Spielleitung hat nun die Aufgabe, diese Dynamik aufzugreifen und zu steigern. Stelle eine fantastische Welt dar und mache das Leben der Charaktere zu einem Abenteuer, so formuliert es ihre Agenda. Natürlich ist damit die allgemeine gestaltende Rolle gemeint, die die Spielleitung in jedem Rollenspiel einnimmt. In der pbtA-Engine aber ist diese Rolle stärker verregelt, da die Spielleitung eben kein universelles Rederecht genießt, sondern dann dran ist, wenn die Regeln es sagen: nämlich wenn alle erfahren wollen, was passiert, wenn die Spielerinnen und Spieler eine einmalige Gelegenheit bieten und wenn eine 6 minus gewürfelt wird. Dann führt sie einen Spielzug aus und dieser Spielzug sollte – siehe die Agenda – fantastische oder herausfordernde Elemente einführen, seien es Antagonisten, Kreaturen, Ereignisse, Hindernisse, Probleme oder ähnliches mehr. Aktivität wird also regelmechanisch erzwungen und die Abenteuergeschichte entsprechend mit Dramatik und Spannung angereichert.

Um diese Aufgabe zu unterstützen stehen der Spielleitung ihre Abenteuerfronten zur Verfügung. Abenteuerfronten sind ein locker strukturiertes Sammelsurium von Ideen, die die Spielleitung gesammelt hat, um sie ins Spiel einzubringen. Sie bestehen aus Gefahren und aus potentiellen Entwicklungen, nämlich den düsteren Vorzeichen und dem drohenden Unheil. Sie sind das kreative Arsenal, aus dem die Spielleitung schöpfen kann, sie sind aber keine vorformulierten Handlungsbögen wie Abenteuerskripte. Und – das gilt es hier zu betonen – auch Abenteuerfronten sind ein Antrieb für die Abenteuererzählung, denn jede gute Abenteuerfront sollte mit einem Einsatz verbunden sein. Ein Einsatz ist eine bedeutsame Frage, die die Spielleitung gerne im Spiel beantwortet sehen möchte. Um die obigen Beispiele aufzugreifen könnten Einsätze folgendermaßen lauten: „Wird das Heer des Knochengenerals das grüne Tal erobern?“, „Wird die Diebin das Erbe der Mitternachtsfürstin antreten?“ oder „Wird der Paladin seine Kirche aus den Machtkämpfen des Senats heraushalten können?“ Solche Einsätze geben dem Spiel eine bestimmte Richtung und bringen dramatische oder existentielle Elemente an den Spieltisch. Sie helfen dabei, die Abenteuergeschichte mit Höhepunkten zu versehen, an denen die Charaktere glänzen (oder auch scheitern) können. Was im Abenteuerskript der vorbereitete Spannungsbogen ist (plot-driven!), das ist in der Abenteuergeschichte die Frage nach der spielerbestimmten Einlösung des Einsatzes (player-driven!).

Fazit

Rollenspiele mit der pbtA-Engine stehen für einen freien, kreativen und selbstbestimmten Spielstil. Im Unterschied zu klassischen Systemen gestalten die Spielerinnen und Spieler ihr Abenteuer, keine Autorin und kein Autor. Hierfür bedarf es einiger Funktionalitäten, die die Abenteuergeschichte antreiben. Beim Schwarzen Auge einen Krieger nach Havena zu stellen, löst kein Abenteuer aus. Vielleicht hat sich der Spieler Gedanken über seine Motivation gemacht und findet einen Ansatzpunkt für eine schöne Szene. Vielleicht ist die Gruppe sehr kreativ und beginnt freihändig eine spannende Folge von Szenen zu spielen. Unterstützt werden sie in einem solchen Freestyle von der Regelmechanik aber nicht. Auch kann eine solche Spielpraxis als ungewöhnlich gelten, schließlich erwartet man in einem klassischen System, dass die SL nun irgendetwas macht, mit dem ein Abenteuerskript zu laufen beginnt. In Dungeon World einen Kämpfer in die Festung Orkentrutz zu stellen, löst hingegen sehr wohl ein Abenteuer aus. Seine Klasse sagt, was er erleben will, seine Gesinnung sagt, was er machen wird, seine Bande sagen, wie seine Gefährten involviert werden. Ein Einsatz hilft der Spielleitung, der Abenteuergeschichte eine Richtung zu geben. Und nicht zuletzt ist schon der Name Orkentrutz ein Hinweis darauf, was denn hier für Möglichkeiten warten (und vermutlich Teil der Abenteuerfront der Spielleitung). All das ist zwar letztlich auch in klassischen Systemen möglich, aber nur außerhalb der Regelmechanik, nicht – wie hier – als integrierte Funktionalität.

Dungeon World hat für diese Funktionalitäten interessanterweise keinen übergreifenden Begriff. Sein Cyberpunk-Äquivalent namens Der Sprawl nennt diese Funktionalitäten hingegen Flaggen. Dieser Begriff versinnbildlicht die Funktion dieser Elemente: Flaggen geben ein Signal, sie signalisieren, welche Aspekte des Charakters oder des Settings die Spielerinnen und Spieler gerne im Spiel sehen möchten. Alle Beteiligten sind aufgerufen, die beflaggten Elemente in das Spiel einzubringen, insbesondere natürlich die Spielleitung, die im Rahmen ihrer Spielzüge diese Elemente ausschmückt oder herausfordert. Was die Abenteuergeschichte angeht, ist es vielleicht passender, diese Funktionalitäten als narrative Gravitationskerne zu verstehen. Jedes Element zieht die Handlung in seine Richtung: Die Klasse des Kämpfers zieht das Spiel unweigerlich in Richtung einer kampforientierten Problemlösung, eine gute Gesinnung hin zum strahlenden Heldentum, ein wildnisorientierter Spielzug hin zum Überlandsetting etc. Selbst Ausrüstungsgegenstände können zu solchen Gravitationskernen werden, die die Abenteuergeschichte beeinflussen. Die Gravitationskerne wirken dabei gleichzeitig auf das Spiel, so dass die Abenteuergeschichte sich nicht direkt auf ein Ziel zubewegt, sondern sich auf einem gewundenen Weg durch die Interessen der Spielerinnen und Spieler bewegt. Am Spieltisch folgt also nicht die Handlung einem Abenteuerskript, sondern die Abenteuergeschichte folgt den Interessen der Spielerinnen und Spieler. Wer Dungeon World spielt, kann sich sicher sein, dass die Abenteuergeschichte die Elemente enthalten wird, die die Beteiligten am Spieltisch sehen wollen: Die Spielerinnen und Spieler bringen sie ein, die Spielmechanik hält sie präsent und verknüpft sie zu einer Abenteuergeschichte.

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